Die Geschichte der Radiowerbung

Die spannende Geschichte der Radiowerbung

100 Jahre Radiowerbung – dieses Jubiläum gilt es 2022 zu feiern. Am 28. August 1922 sendete der New Yorker Radiosender WEAF am Nachmittag eine 10-minütige Werbesendung für den Investor Jackson Heights. Beworben wurden Appartements im heutigen Stadtteil Queens. Sie gilt als erste Werbung im Radio weltweit. Die Geschichte der Rundfunkwerbung ist wechselhaft. In einigen Ländern wie den USA wurde sie schon in Pioniertagen des Radios zur Finanzierung von Sendern eingesetzt. In europäischen Ländern war Radioreklame zeitweilig verpönt oder sogar verboten. Im Laufe eines Jahrhunderts hat sich die Radiowerbung zu einem eigenständigen Werbemittel entwickelt. Elemente wie Musik, Jingles und hörspielartige Darbietungen erscheinen heute selbstverständlich. Doch diese Gestaltungsideen für Reklamespots im Radio mussten erst einmal entwickelt werden. Dieser Prozess ist eng verbunden mit technischen Erfindungen und gesellschaftlichen Veränderungsprozessen.

Die Frühzeit der Radiowerbung in den USA

Ein US-Produzent von Radiogeräten gründete 1920 den ersten Privatsender in Pitsburg. Finanziert wurde der Sender durch den Verkauf der Geräte. In den Jahren 1921 bis 1927 wuchs die Zahl amerikanischer Radiosendern auf 700 an. Der Verkauf von Radiogeräten deckte die Finanzierung auf Dauer nicht. So kam WEAF 1922 auf die Idee, mit Werbeeinnahmen zu arbeiten. Nach dem ersten Reklamespot für die New Yorker Immobilien verkaufte der Sender weitere Werbezeit an andere Unternehmen wie American Express. Die Gewinne waren für damalige Verhältnisse beeindruckend hoch. Es gab zwar jahrelang Skepsis, ob Werbung ein geeignetes Finanzierungsmodell sein könnte. Doch prinzipiell war damit der Grundstein für kommerzielle Radiowerbung in den USA gelegt.

Frühe Radiokultur in Österreich und Deutschland

In Europa tickten die Uhren anders. Gerade erst 1918 war der Erste Weltkrieg zu Ende gegangen. Funkwellen spielten eine militärische Rolle. Es stieß zunächst auf Bedenken, diese Technik für ein öffentliches Unterhaltungsprogramm einzusetzen. Die Regierungen befürchteten vor allem, dass Bürger mit dem Radio eigene Funkbotschaften senden könnten. Der Betrieb von Radios mit Sendefunktion wurde grundsätzlich verboten. Jedes Empfangsgerät musste sowohl in Österreich als auch in Deutschland registriert oder lizenziert werden. Es waren Wirtschaftsunternehmen, die sich um die Genehmigung für einen Radiosender bewarben. In Österreich gründete sich die Radio-Verkehrs-Aktiengesellschaft (RAVAG) und ging am 1. Oktober 1924 erstmals auf Sendung. Der Sendesaal lag in den Räumlichkeiten des Kriegsministeriums am Wiener Stubenring. In Deutschland fand die erste offizielle Radiosendung ein Jahr früher statt. Die Lizenz hatte die Schallplattenfirma VOX erhalten. Gleich die allererste Radioansprache enthielt Werbung. Der Sprecher kündigte ein Musikstück von Kreisler für Cello und Klavier an. Ergänzt wurde die Ansage mit dem Hinweis, dass die Klavierbegleitung auf einem „Steinway-Flügel“ gespielt würde.

Vom gesprochenen Inserat zur Schallplatte

Reklame im Radio nannte man im deutschsprachigen Raum lange Zeit ein „Inserat aus der Luft“ oder „tönende Anzeige“. Technisch war sie in den frühen 20er Jahren einfach gestrickt. Der Haussprecher eines Senders trug Werbetexte am Mikrophon vor. Als gedankliche Vorlage galten Zeitungsannoncen. Ab Mitte der 20er Jahre kamen neue akustische Ideen dazu. 1926 spielte der US-Radiosender WCCO erstmals einen Jingle ein. Es war ein A-Capella-Lied, mit dem Frühstücksflocken beworben wurden. Etwa ab den 1930er Jahren kam im deutschsprachigen Raum die Werbeschallplatte zum Einsatz, um Reklamebotschaften einzuspielen. Das erweiterte die Darstellungsformen. Ein Werbespot konnte nun szenische Gespräche, Lieder und Geräusche umfassen. Das schuf mehr Aufmerksamkeit. Auch Produkte wie Nivea Creme oder Kaffee Hag bekamen nun Werbejingles. Als erste große Werbeserie entstand in den USA die Reklamesendung Ma Perkins. Ihre Hauptfigur war die verwitwete Mutter Perkins mit ihren Kindern. Es war die erste Radio-Werbeserie, die für Content Marketing genutzt wurde. Produziert wurde sie vom Waschmittelhersteller Procter & Gambler. Bis zum Jahr 1960 wurde Ma Perkins regelmäßig gesendet. Sie gilt als die längste je produzierte Radio-Werbeserie und als erste Soap Opera.

Werbeverbote bis zum Zweiten Weltkrieg

In Österreich und Deutschland gab es von Anfang an kritische Stimmen gegen Radiowerbung. Allgemein verboten war Reklame für Alkohol, Politik, Religion und Vergnügungsstätten. In Deutschland wurde auf Druck der Kirchen ab 1929 die Werbung streng reglementiert. Nur vormittags an Wochentagen durfte sie gesendet werden. An Sonn- und Feiertagen war sie vollständig verboten. Als in Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht kamen, verbot Propagandaminister Goebbels die Werbung im Radio ab 1936 vollständig. Mit dem Einmarsch deutscher Truppen 1938 galt das auch für Österreich. Allgemein verlor Österreich seine eigenständigen Radiosender. Die RAVAG stellte am 01.03.1938 ihren Programmbetrieb ein. Die Österreicher empfingen für die nächsten Jahre die Sendungen aus Deutschland. Das Radio diente nun der politischen Propaganda und als Medium zur Massenunterhaltung..

Radioreklame in den 1950er Jahren

In den 50er Jahren kam das Fernsehen auf. Es war aber ein so junges Medium und nur wenige Menschen konnten sich ein Fernsehgerät leisten. Das Radio war in jenem Jahrzehnt das eigentliche Massenmedium. Zugleich erholte sich die Wirtschaft und in den Geschäften erweiterte sich das Produktsortiment deutlich. Es entstanden diverse Marken für ähnliche Produkte. Rundfunkwerbung bekam deshalb eine neue Ausrichtung. Zum einen setzte sie auf einen Tonfall voller Superlative: Preise sind sensationell, Qualität ist überragend, Angebote sind einmalig. Gereimte Werbesprüche wurden beliebt. Die Werbezeit stieg an und konnte pro Produkt durchaus einige Minuten dauern. Das ging damit einher, dass Werbereihen wie Hörspielserien aufgebaut wurden. Bekannte Schauspieler sprachen die Rollen. Wegen der steigenden Anzahl ähnlicher Produkte setzte eine neue Strategie ein: Es ging darum, Produkte mit Emotionen zu verknüpfen.

Das Transistorradio als Alltagsbegleiter

Bis in die 50er Jahre hinein war das Röhrenradio im Gebrauch. Die großen Geräte standen in der Regel im Wohnzimmer. Das Radiohören war an das eigene Zuhause und die Familienrunde geknüpft. Diese Situation änderte sich langsam. Zwar gab es schon seit den 1920er Jahren Autoradios, aber sie waren sehr groß und nur Wohlhabenden vorbehalten. Ab den 50er Jahren wurde in Japan, Deutschland und den USA mit energie- und platzsparenden Alternativen experimentiert. Es entstand das Transistorradio. Das ermöglichte einerseits die Nutzung kompakter und kleiner Autorradios. Zum anderen entstand das tragbare Radiogerät. Es war klein, handlich und konnte mit Batterien betrieben werden. Die 60er Jahre entwickelten sich zum goldenen Zeitalter des Radios. Familien schafften sich zusätzlich zum Röhrenradio im Wohnzimmer noch Zweit- oder Drittgeräte an. Ein Transistorradio in der Küche sorgte für Unterhaltung bei der Küchenarbeit. Jugendliche nahmen tragbare Geräte mit ins Freibad oder zu gemeinsamen Treffpunkten.

Radiowerbung für unterwegs

Für die Rundfunkwerbung bedeutete das: Sie lief im Hintergrund zu anderen Aktivitäten. Diese eingeschränkte Aufmerksamkeit musste bei der Werbegestaltung berücksichtigt werden. Es ging immer weniger darum, hörspielartige Szenen zu kreieren. Stattdessen entstanden Identifikationsfiguren und Slogans für Lebensgefühle. Sie wurden akustisch eingängig gestaltet und schufen Wiedererkennungswerte. Das Werbeformat ergänzte sich dabei oft mit der Filmproduktion. Schon 1957 entstand die wohl berühmteste Werbefigur der Wirtschaftswunderzeit. Das HB-Männchen – eine Zeichentrickfigur für eine Zigarettenmarke – war optisch nur in der Kinowerbung und im Fernsehen zu sehen. Ihr Slogan funktionierte aber auch im Radio: „Halt, mein Freund! Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Greif lieber zur HB!“. Ähnlich war es mit dem Esso-Tiger. Schon seit den 1920ern hatte der Esso-Mineralölkonzern den Tiger als Gallionsfigur entwickelt. Im Rundfunk war sie nicht sichtbar. Hörte man aber im Autoradio den Slogan „Pack den Tiger in den Tank“, war die Botschaft eindeutig: Fahre die Tankstelle mit dem Esso-Tiger an.

Privatsender und Zielgruppenwerbung

In den USA entstanden ab den 60er Jahren zielgruppenspezifische Radiosender. Am beliebtesten sind Radiostationen für Country-Musik, religiöse Sendungen und News-Sender. In Österreich und Deutschland hatte sich nach dem Weltkrieg das System der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten etabliert. Es kam erst ab den 80er Jahren zu einem Ausbau an Privatsendern. Aktuell führt das öffentlich-rechtliche Hitradio Ö3 die Beliebtheitsskala an, gefolgt von Kronehit. Es hat sich eine Mixtur aus privaten und öffentlichen Sendern entwickelt. Dabei decken Privatsender wie Radio U1 Tirol, Volksmusik Pur oder Radio Maria bestimmte Zielgruppen ab. 75 % der Österreicher hören täglich mehrere Stunden Radio im Hintergrund ihrer Tätigkeiten. Im Gegensatz zu den Anfangsjahren der öffentlich-rechtlichen Sender ist es aber schwieriger geworden, ein großes gemischtes Publikum über einen Sender zu erreichen. Die große Veränderung besteht darin, dass sich Werbung genauer an Zielgruppen anpassen muss. Dank Digitalisierung haben Sender eine viel größere technische Reichweite als in früheren Zeiten. Zielgruppen-Radio ermöglicht es den Unternehmen zudem, Werbung beim geeigneten Publikum zu platzieren. Die Geschichte der Rundfunkwerbung ist deshalb noch lange nicht auserzählt.